Lot 6
  • 6

Albert Anker 1831 - 1910

Estimate
700,000 - 900,000 CHF
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Description

  • Albert Anker
  • STRICKENDE BERNERIN MIT KINDKNITTING BERNESE WOMAN WITH CHILD
  • Unten links signiert

  • Öl auf Leinwand
  • 49 x 38 cm

Provenance

Schweizer Privatbesitz

Exhibited

Bern, Kunsthalle, Albert Anker, 1928, Nr. 80 (Strickende mit Mädchen)
Bern, Kunstmuseum, Albert Anker (1831-1910), Jahrhundertausstellung, 1931, Nr. 148

Literature

Sandor Kuthy, Albert Anker, Bern 1962, Nr. 81 (Strickende Frau in Berner Tracht mit Kind)
Sandor Kuthy/Therese Bhattacharya-Stettler, Albert Anker, Werkkatalog der Gemälde und Ölstudien, Basel/Bern 1995, S. 235, Nr. 544, abgebildet

 

Catalogue Note

Gemalt 1898.

Der Künstler zeigt hier im Profil eine junge stolze Bernerin, gekleidet in der sog. Gotthelftracht mit der gestreiften Schürze. Den Namen verdankt diese vereinfachte Form der Berner Sonntagstracht den Illustrationen, die Anker in den 1890er Jahren dem Neuenburger Verleger Frédéric Zahn in Hinblick auf dessen monumentale Prachtausgabe der Erzählungen von Jeremias Gotthelf zu liefern hatte (Publ.1894‑1900). Die Bebilderung dieser volksnahen Geschichten des "Goliath von Lützelflüh" – wie Anker den Schriftsteller nannte - bereitete ihm grosse Anstrengung und Mühe, die Arbeit erforderte zahlreiche Exkursionen ins Emmental, wo er auf Motivsuche ging. Die junge Frau sitzt auf der Bank des schmucken Kachelofens und erklärt vermutlich der Tochter die Strickkünste. Gebannt und voller Staunen schaut das Mädchen auf die Hand- und Fingerbewegungen der Mutter, die Arme stützt es auf deren Schoss. Die stille Zweisamkeit wird durch nichts gestört, die Zeit scheint angehalten, man glaubt, lediglich das Klimpern der Stricknadeln zu hören. Die Hingabe an eine Beschäftigung ist in seiner Bildwelt jeweils so vollkommen, dass die Arbeitende alles um sich vergisst. Dem Motiv begegnen wir bei Anker wiederholt. Es sind präzise Schilderungen von Handfertigkeiten wie Sticken, Spinnen oder Stricken, die fast wie Reportagebilder anmuten; denn sie sind so genau beobachtet, dass Hans Zbinden gar meinte «dass jemand, der diese Tätigkeiten nicht beherrscht, sie von Ankers Figuren erlernen könnte». Es herrschte die weit verbreitete Meinung, dass der Handarbeitsunterricht sich besonders eigne, die Kinder physisch, geistig und sozial zu bilden. Für Mädchen wurde in der Schweiz 1864 Handarbeiten zum Schulfach, weshalb Anker wiederholt auch die Verbindung von handwerklicher Tätigkeit mit geistiger Bildung zeigte und seine Schulmädchen oft einen geflochtenen Korb mit buntem Strick- oder Nähzeug neben Schiefertafel und Lesebuch mit sich tragen. Keineswegs nur Anker hat sich in diesem Themenkreis bewegt, vergleichbare Genrebilder waren in der übrigen europäischen Malerei realistischen Zuschnitts durchaus beliebt und tauchten im 19. Jahrhundert regelmässig auch in den Pariser Salon-Ausstellungen auf. Das eigentliche Thema hier ist aber, wie oft bei Anker, nicht das Stricken, sondern die intensive Konzentration der Dargestellten auf ihr Tun. Er zeigt Personen in einer bestimmten, für ihre Existenz charakteristischen Situation, unberührt von den Veränderungen seiner Zeit.

Wir danken Dr. Therese Bhattacharya-Stettler, Co-Autorin des Werkkatalogs Albert Anker, für den Textbeitrag.